BRIEFING PAPER

Illegale Drogen

Covid-19-Pandemie und illegale Drogen:
Lagebeurteilung, Szenarien und Empfehlungen

Veröffentlichung: 17. April 2020

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Coronavirus-Pandemie und die weltweit ergriffenen Massnahmen schaffen neuartige Hindernisse für den Drogenhandel (eingeschränkter Transport, geschlossene Grenzen, Ausgangsbeschränkungen); es ist von einem Rückgang des Angebotes auszugehen, was zu Einbussen bei der Reinheit bzw. Qualität und zu steigenden Preisen führen dürfte.
  • Die Schliessung der Ausgangsorte und die starke Beschränkung des sozialen Austauschs dürften die Gelegenheits- und Freizeitkonsumierenden grossmehrheitlich zu einer Verringerung oder Aufgabe des Konsums bewegen.
  • Die abhängigen/intensiv Konsumierenden müssen ihren Konsum der Entwicklung des Angebots und ihren finanziellen Möglichkeiten anpassen; einige werden ihren Konsum senken oder ein Behandlungsangebot beanspruchen, während andere mit grösseren Schwierigkeiten konfrontiert sein werden.
  • Sollte das Angebot tatsächlich zurückgehen, würde sich dies insgesamt in einer vorübergehenden Verringerung der Drogenprobleme niederschlagen, wobei allerdings gewisse gefährdete Gruppen in dieser Zeit besonders getroffen würden; eine Priorität besteht also darin, sich diesen Menschen und ihrem Umfeld anzunehmen, da sie bei einer Ansteckung mit dem Virus überdies eine Risikogruppe darstellen.
  • Die Hilfs- und Betreuungsangebote werden gegenwärtig angepasst, um den geänderten Bedürfnissen zu genügen und zugleich die Hygiene- und Abstandsempfehlungen zu gewährleisten; die niederschwelligen Angebote für die besonders gefährdeten Gruppen müssen weiter ausgebaut werden.
  • Ein eigens geschaffenes Monitoring-System sollte errichtet werden, um die Entwicklung während dieser Gesundheitskrise und während einer allfällig nachfolgenden Wirtschaftskrise zu beobachten und einzuordnen; gewisse Datenquellen eignen sich hierfür besser als andere.
Die Entwicklung des Angebotes im Bereich der illegalen Drogen
Die in der Schweiz angebotenen Betäubungsmittel stammen – mit Ausnahme eines Teils des Cannabis – aus dem europäischen Ausland oder von anderen Kontinenten. Bis sie hier erhältlich sind, müssen sie auf dem Land-, See- oder Luftweg verschiedene Länder durchqueren (8, 9, 10, 12). Die Covid-19-Pandemie hat für diesen Handel zusätzliche Hindernisse hinzugefügt: weniger Transporte, geschlossene oder streng überwachte Grenzen, weniger Wirtschaftsaktivitäten sowie Ausgangsbeschränkungen in den Herkunfts-, Transit- und Zielländern. Eine solche Flut von Hindernissen ist eine gänzlich neue Entwicklung, wobei die Betäubungsmittelreserven in der Schweiz zweifelsohne beschränkt und ungleich über das Land verteilt sind.

Eine Verminderung des Angebots, die zu einem Versorgungsengpass führen könnte, stellt in den kommenden Wochen also ein wahrscheinliches Szenario dar. Sollten die Händler den inländischen Markt dennoch versorgen können, so wird das Angebot doch kleiner und unzuverlässiger sein als vor Ausbruch der Pandemie. Dies könnte zu einem tieferen Reinheitsgrad der Substanzen und einer Erhöhung der Preise führen sowie zum Verkauf in grösseren Einzelmengen, um die Zahl der Transaktionen zu senken. Für randständige Konsumierende, die im aktuellen Umfeld besonders Mühe haben, ein Einkommen zu generieren (Gelegenheitsarbeit, Betteln, Deal, Prostitution), wird so der Zugang zu diesen Substanzen erschwert, was zu vermehrter Beschaffungsdelinquenz oder Gewalt führen könnte.

Ein verringertes Angebot kann auch alternative Beschaffungsstrategien hervorbringen, wie etwa den Kauf im Internet (Darknet), was in der Schweiz bislang relativ wenig vorkommt (7). Jedoch müssen diese Sendungen die Zollkontrollen in den Sortierzentren der Post passieren. Zudem werden die Sendefristen durch den insgesamt wachsenden Onlinehandel sowie die Hygienemassnahmen der Postanbieter weltweit beeinträchtigt. Der Online-Handel ist mit eigenen Risiken behaftet (4, 5), z.B. durch den Verkauf von besonders gefährlichen Substanzen (Fentanyl-Derivate und neue psychoaktive Substanzen). Sollten solche Substanzen per Post in die Schweiz gelangen, könnte dies zur Bildung von Vergiftungs-Clustern führen.

Auch die lokale Drogenproduktion könnte Aufschwung erhalten, insbesondere im Bereich der synthetischen Substanzen wie Amphetamine. Doch sind hierfür Ausgangsstoffe erforderlich, die im aktuellen Umfeld schwieriger erhältlich sein dürften. Dies wird vielleicht Versuche der Eigenproduktion in Kitchen-Lab-Anordnungen nicht verhindern, was zur Präsenz von gepanschten Produkten auf dem Markt, oder je nach Erzeugungsmethoden auch zu Unfällen führen könnte (10).

Cannabis mit seinem grossen Anteil an einheimischer Produktion stellt einen Sonderfall dar (12). Es ist kaum abzusehen, ob diese Produktion im Zuge der Pandemie ab- oder zunehmen und ob sie die Importausfälle ersetzen wird. Ein weiterer Spezialfall ist der legale CBD-Cannabis. Er kann in den noch geöffneten Geschäften (Supermärkte, Lebensmittelgeschäfte, Kioske) gekauft und im Internet bestellt werden (11). Dies könnte möglicherweise zu einer teilweisen Verschiebung des Konsums führen.

Bei den Opioiden, insbesondere Heroin, könnte das sinkende Angebot zur vermehrten Präsenz von Substitutionsmitteln wie Methadon, Morphin usw. auf dem Schwarzmarkt führen, weil ihr Marktwert ansteigt. Bislang war dieser Markt in der Schweiz relativ klein, weil die Behandlungsangebote hierzulande grossflächig zugänglich sind (9).

Die Entwicklung der Nachfrage
Der Betäubungsmittelkonsum betrifft grob gesehen zwei Benutzergruppen: Erstens die abhängigen/intensiv Konsumierenden, die (fast) täglich grosse Mengen zu sich nehmen (8, 9, 10, 12). Zweitens die Gelegenheits- und Freizeitkonsumierenden, die diese Produkte bei besonderen Gelegenheiten, meist am Wochenende nutzen. Sie stellen die Mehrheit dar, konsumieren aber seltener und durchschnittlich viel weniger (10, 12).

Die Schliessung aller Ausgangsorte (Bars, Nachtclubs, Festivals) und die Beschränkung des sozialen Austauschs dürfte den Konsum bei den Gelegenheits- und Freizeitkonsumierenden reduzieren, auch wenn bei einigen beispielsweise der Stress in Folge der Pandemie oder die Konsequenzen der Ausgangsbeschränkungen zu einer intensiveren Konsumphase führen könnte.

Ein Teil der abhängigen/intensiv Konsumierenden wird wegen fehlender Konsumgelegenheiten oder wegen Erwerbsproblemen zweifellos weniger konsumieren. Andere könnten angesichts der aktuell angstgenerierenden Situation ihren Verbrauch beibehalten oder gar steigern. Für sie wird die Verfügbarkeit des Angebots entscheidend sein.

So wird eine Mehrheit der Benutzerinnen und Benutzer den Verbrauch wahrscheinlich senken oder zeitweise gar aussetzen. Doch wird die Situation für abhängige/intensiv Konsumierende schwierig werden, wenn sie ihren Konsum nicht reduzieren und an das verfügbare Angebot bzw. an die aktuelle Lage anpassen können. Als Folge könnte das Risikoverhalten zunehmen (s.u.). Diese Benutzerinnen und Benutzer werden auch am stärksten von den Marktschwankungen (Qualität, Preis) betroffen sein.

Die Entwicklung der Probleme
Untersuchungen des Heroinmangels in Australien 2001 (1) und in gewissen europäischen Ländern 2010 (3) lassen den Schluss zu, dass Angebotsengpässe zu einer moderaten Senkung des Verbrauchs, der Überdosen und der gesundheitlichen Probleme bei den Konsumierenden dieser Substanz sowie zu einem Anstieg der Behandlungsnachfrage führen. Auch ein Ausweichen auf andere Substanzen wie Stimulanzien (Kokain, Methamphetamin) wurde beobachtet (1). Doch könnte die aktuelle Lage zu einem noch nicht dagewesenen Szenario führen, bei dem das Angebot mehrerer Betäubungsmittelkategorien kleiner wird, womit sie als Ausweichmöglichkeiten entfallen könnten. Damit wären Alkohol, Cannabis und gewisse psychoaktive Medikamente, sofern erhältlich, die verbleibenden Ersatzdrogen.

Gewisse Benutzergruppen, insbesondere unter den abhängigen Konsumierenden, sind durch zusätzliche Probleme gefährdet, weil die aktuelle Lage ihre oftmals schon fragilen Konsumstrategien strapazieren werden (9). Dies kann zu Risikoverhalten (Mischungen, Mengen, gebrauchtes Material usw.), sozialen und gesundheitlichen Problemen oder auch zu illegalen Aktivitäten führen. Auch das Umfeld der abhängigen Konsumierenden (Partner/in, Kinder, Eltern) kann dadurch zusätzlich belastet werden, was durch die Ausgangsbeschränkung noch zugespitzt wird. Dabei gilt zu bedenken, dass verschiedene Benutzergruppen aufgrund ihrer schlechten Gesamtgesundheit und der Folgen des Betäubungsmittelkonsums zu den Risikogruppen bei einer Coronavirus-Infektion gehören. Kommt hinzu, dass Personen, die freiwillig oder gezwungenermassen einen Opioid-Entzug durchgemacht haben, bei Wiederaufnahme des Konsums nach der Krise einem erhöhten Überdosis-Risiko ausgesetzt sind (1).

Entwicklung der Hilfs- und Betreuungsangebote
Die wichtigsten Hilfsangebote für suchtkranke Menschen mussten aufgrund der Empfehlungen im Zusammenhang mit der Pandemie ihr Angebot reduzieren oder anpassen. Doch ist der Wille gross, das Angebot der aktuellen Situation anzupassen (Material für den Konsum, Behandlung, Beratung, Nothilfe, Mahlzeiten, Unterkunft usw.) und die Dienstleistungen dahingehend zu entwickeln, dass die Hygiene- und Abstandsregeln eingehalten werden (Reduktion der Platzzahl und Betten, Telekonsultationen usw.). Diese Bemühungen ersetzen den direkten Kontakt mit den suchtkranken Menschen, der wegen der Pandemie eingeschränkt ist, zwar nur bedingt, tragen aber zur Schadensminderung bei. Daneben erlaubt eine gesenkte Schwelle für gewisse Angebote, dass Behandlung und Schadensminderung für die bedürftigsten Menschen weiterhin zugänglich bleiben.
Die Ereignisse beobachten und verstehen
Dieses Dokument beschreibt auf Grund von Studien, die noch vor der Covid-19-Pandemie in anderen Kontexten erstellt wurden, was im aktuellen Umfeld geschieht und was noch geschehen könnte. Nun ist es wichtig, Daten zusammenzutragen, um die Entwicklung von Angebot und Nachfrage von Betäubungsmitteln sowie der Probleme in der herrschenden Ausnahmesituation, aber auch in einer allfällig nachfolgenden Wirtschaftskrise zu messen (2). Mehrere Datenerhebungen stehen indessen bereits teilweise oder ganz still: Die Polizei beschlagnahmt und analysiert immer weniger Betäubungsmittel, oft sind die Drug-Checking-Projekte auf Stand-by und die Resultate der Jahresstatistiken bzw. der Gesundheitsbefragungen werden frühestens in einem Jahr vorliegen. Überdies könnten sie wegen des ausserordentlichen Erhebungsumfelds Verzerrungen oder Lücken aufweisen.

Aus diesem Grund sollte ein Krisen-Monitoring-System entwickelt werden. Gewisse Datenerhebungsmethoden wie etwa die Abwasseranalysen (9,10,12) sind nicht-invasiv und ergeben praktisch in Echtzeit Informationen zur Entwicklung des Betäubungsmittelverbrauchs. Wichtig ist es auch, an Indikator-Standorten (Behandlungszentren, niederschwellige Angebote) die Entwicklung der Bedürfnisse der Klienten und Klientinnen zu verfolgen. Dank der Mitwirkung von Referenzpersonen (Polizisten, Informanten, Drogenkonsumierende, Sozialarbeitende usw.) können laufende Entwicklungen und ihre Konsequenzen besser verstanden werden.

Bibliografie
  • Degenhardt L, Day C and Hall W (editors) (2004). The causes, course and consequences of the heroin shortage in Australia. National Drug and Alcohol Research Centre
  • Dom G, Samochowiec J, Evans-Lacko S, Wahlbeck K, Van Hal G and McDaid D. (2016) The Impact of the 2008 Economic Crisis on Substance Use Patterns in the Countries of the European Union. Int. J. Environ. Res. Public Health 2016, 13, 122
  • EMCDDA (2011). Recent shocks in the European heroin market: explanations and ramifications. Lisbon: EMCDDA
  • EMCDDA (2016). The internet and drug markets. Luxembourg: Publications Office of the European Union.
  • EMCDDA (2017). Drugs and the darknet: Perspectives for enforcement, research and policy. Luxembourg: Publications Office of the European Union.
  • Esseiva P, Burkhart C et Zobel F. (2018). Rapport Deal de Rue. Une comparaison des approches développées par trois villes suisses, (Lausanne, Berne et Zürich) vis-à-vis de la vente de stupéfiants dans l’espace public (deal de rue). Lausanne : Ecole des Sciences Criminelles
  • Rossy Q, Staehli L, Rhumorbarbe D, Esseiva P et Zobel F. (2018) Drogues sur Internet : Etat des lieux sur la situation en Suisse. Forschungsbericht Nr. 98. Lausanne: Sucht Schweiz und Ecole des Sciences Criminelles (ESC/UNIL).
  • Zobel, F., Schneider, C. (fedpol) et Marthaler, M. (2015) Nouvelles Tendances dans le domaine des Drogues (NTD): la méthamphétamine en Suisse. Lausanne: Sucht Schweiz, 9.2015.
  • Zobel F, Esseiva P, Udrisard R, Lociciro S & Samitca S. (2017) Le marché des stupéfiants dans le canton de Vaud: les opioïdes.Lausanne: Sucht Schweiz, ESC/UNIL und IUMSP/CHUV. 6.2017.
  • Zobel F, Esseiva P, Udrisard R, Lociciro S & Samitca S. (2018) Le marché des stupéfiants dans le canton de Vaud: la cocaïne et les autres stimulants. Lausanne: Sucht Schweiz, ESC/UNIL und IUMSP/CHUV. 7.2018.
  • Zobel F, Notari L, Schneider E & Rudman O. (2019) Cannabidiol (CBD): analyse de situation. Sucht Schweiz: Forschungsbericht Nr. 97, 1.2019.
  • Zobel F, Esseiva P, Udrisard R & Samitca S. (2020) Le marché des stupéfiants dans le canton de Vaud: les cannabinoïdes. Lausanne: Sucht Schweiz, ESC/UNIL und Unisanté. 1.2020.

Dieses Dokument stützt sich auch auf eine Reihe von Gesprächen mit Polizisten und Fachleuten aus dem Sozial- und Gesundheitswesen.

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